Kritisieren als Widerstand

Gisèle Guillemot und Erdös Endréné
Zitate
2002

In den Berichten von Gisèle Guillemot und Erdös Endréné geht es um das körperliche und geistige Überleben im Konzentrationslager. Trotz schrecklichster Bedingungen entwickelten die Gefangenen Möglichkeiten, Menschen zu bleiben, sich mit anderen Gefangenen zusammenzutun und solidarisch zu handeln. Erdös Endréné verrichtete als ungarische Jüdin Zwangsarbeit in der Papierfabrik Lenzing. Im Lager schrieb sie heimlich Kochrezepte in ein Heft. Gisèle Guillemot war als französische Kommunistin im KZ Ravensbrück. Sie erzählt, wie der politische Widerstand im Lager organisiert wurde und was Gedichte und Rezepte den Gefangenen bedeuteten.


Zitate Gisèle Guillemot

Kleine Gedichte, Geschichten, Kochrezepte


Und dann bestand die Solidarität darin, während des Appells durchzuhalten, in dem wir uns kleine Gedichte vorsagten oder uns Geschichten erzählten oder indem wir uns sogar Kochrezepte aufsagten. Die Intellektuellen waren ganz und gar gegen die Rezepte. Gut, sich ein Rezept von „Boeuf mode“ [Rinderschmorbraten] zu erzählen, wenn man vor Hunger krepiert, [lacht] das ist vielleicht nicht offenkundig. Auf der anderen Seite finde ich, dass es eine gewisse Form von Widerstand war, Tonnen von Butter zerlaufen zu lassen oder literweise „Crème fraiche“ über kleine Stücke Blumenkohl oder über frischen Fisch zu gießen. In gewisser Weise bedeutete das, sich dem Leben anzunähern.

Man hatte derart übertrieben mit der Butter

Mir machte das große Freude. Ich hatte im Lager einige Kochrezepte gesammelt, mit einem kleinen Stück Papier und einem Bleistift, und als ich zurückkam, versuchte ich die Gerichte zu kochen. Als ich die Rezepte abgeschrieben hatte, hatte ich mir das nicht klargemacht, aber als ich die Gerichte kochen wollte, war das ganz verrückt. Man hatte derart übertrieben mit der Butter, also, das war nicht machbar.


Biografie Gisèle Guillemot


Zitate Erdös Endréné

1944 brachte man uns nach Österreich


Bei der Deportation starben meine Eltern, meine drei Geschwister. Am 5. Juli 1944 hat man uns nach Auschwitz einwaggoniert. Und im September 44 brachte man uns nach Österreich. Ich kam ins Lager Lenzing, wo ich in der Papierfabrik arbeitete. Mit der Papierherstellung in Zusammenhang stehende Aufgaben haben wir verrichtet. Und Waggon ausladen, so große Ballen aus dem Waggon, die wir dann zum Stampfwerk trugen.

Ein Andenken an Lenzing

Ich habe auch ein Andenken daran, denn wir haben auch Ziegel aus den Waggons ausgeladen, und der Ziegel fiel auf meine rechte Hand, auf meinen Daumen. Mein Nagel eiterte, fiel ab, unter [lacht] höllischen Schmerzen und so ein hässlicher ist mir an seiner Stelle gewachsen, also auch das ist ein dortiges Andenken.

Ein Heft aus der Papierfabrik

Dann habe ich aus der Papierfabrik ein Heft mitgebracht. Wir entluden aus den Waggons solche Ballen. Diese alten zerknitterten Papiere warfen wir in die Stampfe. Bleistifte waren auch darunter, und es gab auch leere Hefte, oder halb vollgeschriebene Hefte, und ich hab ein Heft mitgenommen und einen Bleistift. Ich bat die Älteren um Kochrezepte, und ich schrieb in dieses Heft am Abend im Lager, oder am Wochenende.


Biografie Erdös Endréné


Gisèle Guillemot

Quelle
Gisèle Guillemot im Gespräch mit Julia Montredon (Audio- und Video-Interview)
1. August 2002, Seillans, Frankreich
Originalsprache Französisch
Transkript: Deutsche Übersetzung von Karin Stögner


Archiv
Sammlungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen
AMM OH/ZP1/331


Literatur

Gisèle Guillemot, Samuel Humez
Résistante – mémoires d’une femme, de la Résistance à la déportation
Neuilly-sur-Seine 2009 (Französisch)

Gisèle Guillemot
(Entre parenthèses)
De Colombelles (Calvados) à Mauthausen (Autriche), 1943 – 1945
Paris 2001 (Französisch)

Alain Resnais
Nuit et Bruillard (Nacht und Nebel)
Dokumentarfilm, 32 Minuten
Regie: Alain Resnais
Kamera: Ghislain Cloquet, Sacha Vierny
Musik: Hanns Eisler
Text: Jean Cayrol
Deutsche Bearbeitung: Paul Celan

Frankreich 1955 (Deutschland 1956)


Erdös Endréné

Quelle
Erdös Endréné im Gespräch mit Júlia Vajda
(Audio-Interview)
1. Juni 2002, Budapest
Originalsprache Ungarisch
Transkript: Deutsche Übersetzung von Gerhard Baumgartner


Archiv
Sammlungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen
AMM OH/ZP1/54


Literatur

Szabolcs Szita
Ungarn in Mauthausen
Ungarische Häftlinge in SS-Lagern auf dem Territorium Österreichs
Wien 2006

Szabolcs Szita
Verschleppt, verhungert, vernichtet
Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Österreich 1944 – 1945
Wien 1999



 
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