Helfen als Widerstand

Anna Čadia
Zitate
1988

Diese Jacke strickte Anna Čadia 1941 im Polizeigefängnis Graz für ihre Tochter Mila Čadia. Mila war damals 14 Jahre alt. Auf dem Gruppenfoto sieht man Anna und Mila Čadia (vierte und fünfte Person von links) bei einer Wanderung im Jahr 1946.


1938: Meine Tochter Mila hat gesagt: „Mama nicht!“

Einige Tage nach dem Einmarsch sind die Juden durch die Straßen getrieben worden. Ein Schild: „Ich Saujude“, hinten und vorne, und das waren ungefähr 25 Leute, von der SA begleitet, schwer bewaffnet und ein Gegröle. Und ich bin von der Arbeit gekommen, wie dieser Aufmarsch war.

Ich habe glaubt, ich muss schreien, aber die Mila war bei mir. Das war meine Tochter. Sie hat mich bei der Hand genommen und hat gesagt: „Mama nicht! Sie erschlagen Dich auf der Stelle, Mama nicht!“ Es war so schlimm, einige Juden habe ich persönlich gekannt, Leoben ist kein so großer Ort, man kennt sich, und ich habe schauen müssen, dass ich schnell heimkomme, schon um des Kindes Willen, weil, wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich geschrien, so schlimm war das.

Weltanschauung und politische Tätigkeit: Rote Hilfe

Wie die Nazi gekommen sind, sind so viele mit fliegenden Fahnen zu den Nazi. Da hat man sich in der Leobener Arbeiterbäckerei auch schwer äußern können. Man hat nicht gewusst, wen man vor sich hat, man hat müssen furchtbar vorsichtig sein. Aber eines war sicher, man muss gegen dieses Regime, das ein absolutes und eine Diktatur ist, eine illegale Organisation aufzäumen. Und nicht zu arbeiten bei einem diktatorischen Regime, das kann ich ja vor meinem Kind nicht verantworten, dass ich eine Weltanschauung habe und dass ich für Gerechtigkeit bin und dass ich dann nichts tue.

Hauptsächlich habe ich für die Rote Hilfe gearbeitet. Da ist im Betrieb gesammelt worden und das Geld ist zu mir gekommen und ich habe es dann an die verschiedenen Leute, die schon durch die Nazi Schwierigkeiten gehabt haben, weil der Mann oder die Frau eingesperrt war, und Kinder da waren, verteilt. Das war meine politische Tätigkeit.

Einvernahme bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo)

Die Aussagen von meinen Mitgefangenen waren schon teilweise da. Und bei der ersten Einvernahme bei der Gestapo habe ich gezittert wie Espenlaub. Ich habe ja gewusst was es heißt, in den Fängen der Gestapo zu sein. Und bei der Einvernahme hat man mich natürlich ausquetschen wollen und weil ich da gesagt habe: „Kenne ich nicht, kenne ich nicht, kenne ich nicht“, bei mehreren Leuten, die man mir genannt hat, hat man einen Spind aufgemacht und darin ist die 9-schwänzige Katz gehängt, mit Bleikugeln: „Wir können ja auch in den Keller gehen.“

Da habe ich meine Füße um die Sesselfüße schlingen müssen, weil ich so gezittert habe. Und dann hat man mir eine Fotografie vorgelegt und da habe ich nicht abstreiten können, weil er schon gesagt hat und da habe ich gesagt, „Ah, den kenne ich schon.“ – „Und von wo rührt die Bekanntschaft?“ Habe ich gesagt, „vom Gösserteich, dort sind wir baden gewesen.“ – Was wir dort geredet haben? Habe ich gesagt, „Geredet haben wir nichts, aber einen Krebs hat er mir in den Badeanzug hineingesteckt.“ Und so was Simples hat die Sache auf eine vollkommen andere Bahn geschoben. Über den haben sie mich nicht mehr weiter gefragt.


Biografie Anna Čadia


Objekte
Strickjacke, 1941
Silberbrosche, 1997


Archiv
Privatarchiv Eva Schmeiser Čadia


Objekt
Zitate von Anna Čadia im Gespräch mit Margitta Kaltenegger (Audio-Interview)
1988, Volkshaus Graz


Archive
Privatarchiv Liesbeth Hornik-Turnowsky  
Privatarchiv Ernest Kaltenegger


  
wert
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