Helfen als Widerstand

Hermine Žlatnik
Glückwunschkarte und Bericht
1945 (1955), 1960, 1966

In den 1940er-Jahren mussten Kriegsgefangene und Deportierte in Betrieben Zwangsarbeit leisten. Es waren Männer, Frauen und Kinder, die wenig zu essen bekamen, geringe oder gar keine Bezahlung erhielten und oft auch misshandelt wurden. Hermine Žlatnik arbeitete damals in der Wiener Glas Handelsgesellschaft und unterstützte Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion und aus Frankreich. Sie gab ihnen zu essen, befreundete sich mit ihnen und verhalf ihnen zur Flucht. Mit Roger Avril hatte sie eine Liebesbeziehung. Mit Wladimir Maslakow war sie noch in den 1960er-Jahren in Briefkontakt.


Glückliches Neujahr, Glückwunschkarte von Wladimir Maslakow an Hermine Žlatnik

Wien, 1. 1. 1945 [wahrscheinlich 1955]
Wür Gnedücke [Für gnädige] Frau, zum
Neujahr wünsch ich alles
alles gutes und Glückliches
leben für immer.
Ihre
Waldimier

An Frau
Hermina Sladnik
in Wien II
Taborstraße 6.


Bericht von Hermine Žlatnik (Auszüge)

Im Magazin der Wiener Glas

Ich hatte mich gleich von Anfang an zu den Arbeitern in ihren „Speisesaal“ gesetzt. Im Magazin der Wiener Glas war es gemütlicher als im Büro. Ungestört von den Bewohnern der Nachbarhäuser verbrachten wir dort mit den „Pleni“ [= russisch: Gefangene] die Mittagszeit. Wladimir Maslakow verstand ziemlich gut Deutsch. Schon nach wenigen Tagen sagte er mir, dass seine Kameraden glauben, wenn es auf mich angekommen wäre, würde es keinen Krieg mit der Sowjetunion geben. Aber leider war es nicht auf mich angekommen.

Sieh in mir deine Schwester, sagte ich zu ihm, ich werde euch helfen, so viel ich nur kann. Für die Gefangenen wurde das Mittagessen vom Gasthaus geholt. Ich kochte mir zu Hause und brachte das Essen mit. Jeden Freitag gab es Mehlspeise und die Freude der „Pleni“, ihr Lächeln, waren meine Freude. Sie litten nicht mehr Hunger in dem krassen Ausmaß wie vorher. Auch über rohe Behandlung klagten sie nicht mehr. Von einem Buchhändler brachte ich ihnen russische Bücher und Zeitschriften, und sie halfen mir beim Wollabwickeln. So war nach und nach bei allem Leid doch ein Idyll daraus geworden.

Natürlich litten sie enorm darunter, dass sie keine Postverbindung mit der Heimat hatten. „Aber dann, nach Kriegsende“, tröstete sich Wladimir Moson, „kehren wir zurück und es wird umso schöner sein.“ Sie waren ja alle Männer in den besten Jahren und sie litten sicher sehr, dass sie keine Frauen hatten. Ich gestehe, ich dachte manchmal daran, hinten im Magazin oder im Keller, aber ich hatte doch nicht den Mut und war auch nicht imstande, die eventuell gegebene Möglichkeit auszunützen.

Man durfte weder sprechen mit den Kriegsgefangenen, noch sie unterstützen, überhaupt nicht die geringste menschliche Beziehung zu ihnen haben, schon gar nicht eine sexuelle. Es wurde von den Nazis streng geahndet, das wusste ich noch von meiner Untersuchungshaft. Auf der Rossauer Lände waren Frauen eingesperrt, die das schwere „Verbrechen“ begangen hatten, Frau zu den Kriegsgefangenen zu sein und auf ihre Verurteilung warteten.

Helfen mit Lebensmittel und mit Liebe

Der Krieg ging weiter und eines Tages erzählten uns die „Pleni“, sie kämen zu Aufräumungsarbeiten nach Berlin. Wir waren sehr traurig und anstelle der Sowjets kamen Franzosen, 8 Mann aus verschiedenen Teilen Frankreichs. Gewiss, sie hatten es nicht ganz so schwer wie die Russen, aber Gefangen ist immer eine bittere Sache. Einer von ihnen hatte gleich meine Sympathie. Ein Metallarbeiter, Roger Avril, circa 35 Jahre alt, mit einer breiten Schramme über die Wangen. Ich klaubte zusammen, was von der Bürger-Handelsschule noch an Französisch in mir war.

Bald gewann ich Roger sehr lieb, er war so sehr der französische Arbeiter und alles, was mich an Frankreich begeistert hatte – vom Sturm der Bastille bis zur Weltausstellung in Paris – in Roger war alles. Roger war jung und Freundschaft allein war zu wenig für ihn. Er hatte Frau und Kind in Paris und ich weigerte mich zuerst. „Nur während des Krieges sei meine Frau“, bat er und ich wurde es.

Die meisten Gefangenen hatten eine „Chérie“ [= französisch: Liebste]. Am Sonntag stiegen sie nach dem 2. Appell einfach über die Mauer, wobei alle Schmiere standen. Wenn dann zu Mittag wieder Appell war und einige fehlten, wusste kein Mensch, wo sie waren. Am Abend waren sie aber alle wieder im Lager. Die Aufseher fluchten und zersprangen vor Zorn, aber es kam nichts auf.

Roger kam, so oft es sich machen ließ, über Samstag/Sonntag zu mir. Meine Nachbarinnen hatte ich der Einfachheit und Zuverlässigkeit wegen in die Sache eingeweiht und auch sie halfen aus mit Lebensmittel und mit Liebe. Das war ein sehr köstliches, zugleich aufregendes und schmerzliches Kapitel, aber schön war es – doch. Alles in allem, möchte ich es nicht missen, wenn auch Roger, gut nach Paris gekommen, sich nicht mehr gerührt [= gemeldet] hat.

Der schriftliche Bericht von Hermine Žlatnik liegt in drei unterschiedlichen langen Fassungen vor. Die Auszüge hier enthalten Text aus allen Fassungen, der z.T. neu gereiht und redaktionell bearbeitet wurde. 


Biografie Hermine Žlatnik


Objekt
Glückwunschkarte Glückliches Neujahr
1945 [wahrscheinlich 1955]
Papier, A6, mit Tinte


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Fotoarchiv, 9879



Objekt
Bericht von Hermine Žlatnik
1960, 1966
Papier, A4, mit Schreibmaschine


Archiv
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
194, 5558A



Literatur

Stefan Hördler, Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau und Jens-Christian Wagner (Hg.)
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
Katalog zur Ausstellung in Steyr
Göttingen 2016

Ela Hornung, Ernst Langthaler, Sabine Schweitzer
Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und im nördlichen Burgenland
Wien 2003



  
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