Zurückschlagen als Widerstand

Erdös Endréné und Anna Čadia
Zitate
2002, 1988

Diese Silberbrosche zeigt das Muster einer Jacke, die Anna Čadia 1941 im Polizeigefängnis Graz für ihre Tochter Mila strickte. Eva Schmeiser Čadia, die Tochter von Mila und Enkelin von Anna Čadia, fertigte die Brosche 1997 für ihre Mutter Mila an. Die Silberbrosche gehört zu einem Kunstwerk von Eva Schmeiser Čadia, das auch eine Postkarte aus dem Gefängnis, einen Roten Winkel aus dem Konzentrationslager, sowie Fotos von Anna und Mila Čadia umfasst. Das mehrteilige Kunstwerk erinnert an den Widerstand gegen die Nazis und zeigt, dass die erlebte Geschichte über Generationen weiterwirkt.

Erdös Endréné und Anna Čadia berichten, wie die Nazigewalt in den Köpfen und Herzen der Menschen fortbesteht. Erdös Endréné erzählt vom ungebrochenen Antisemitismus in Ungarn, Anna Čadia von den Anfeindungen bei ihrer Rückkehr nach Graz. Beide Frauen beschreiben, wie sich das Erlebte in sie eingeprägt hat. Erdös Endréné war als Jüdin in den Konzentrationslagern Auschwitz und Lenzing, einem Außenlager von Mauthausen. Anna Čadia war als Kommunistin im Konzentrationslager Ravensbrück.


Zitate Erdös Endréné, 2002

Umsonst sagen sie, das kann sich nicht wiederholen


Mit nichts kann man das bezahlen. Dass sie einem die Familie ausgerottet haben. Das ganze Leben haben sie kaputt gemacht. Das Fehlen der Familie und die Traurigkeit, was sie mit uns gemacht haben. Und was wir zehn Monate hindurch in Auschwitz und in Lenzing durchgemacht haben, und überhaupt diese Demütigung! Selbstverständlich hat das eine Auswirkung auf das Nervensystem und auf das ganze Leben.

Man sagt, dass seit dem Zweiten Weltkrieg die größte Welle an Antisemitismus über Europa hinwegfegt. Was da in Frankreich gewesen ist, und dass man in Kiew die Synagoge angezündet hat. Umsonst sagen sie, dass sich das nicht wiederholen kann. Im Menschen drinnen bleibt dieser Schrecken. Wenn es in Ungarn eine rechtsradikale Partei gibt, die ihre Judenfeindlichkeit verkündet, ohne dass sich die ungarische Regierung oder das Parlament davon distanzieren, dann gibt es natürlich im Menschen eine Angst. [Gemeint ist wahrscheinlich die ungarische Partei Jobbik, deren Parteikader immer wieder offen antisemitisch und romafeindlich auftreten.]

Vielleicht lässt es diese Regierung jetzt nicht zu… Zwar werden sie nicht so in der Öffentlichkeit stehen, weil sie nicht ins Parlament gekommen sind. Aber es gibt sie, sie existieren! Antisemiten hat es schon immer gegeben und wird es immer geben.


Biografie Erdös Endréné


Zitate Anna Čadia, 1988

So ist meine Heimkunft gewesen

„Nachdem Sie keine Aussicht haben, je nach Hause zurückzukommen, haben wir die Wohnung vergeben.“ Das wurde mir während der Haft gesagt. Und als ich [1945, nach der Befreiung] zur Kartenstelle komme, nur Fetzen am Körper, und mir etwas verschaffen will, und die Umstehenden hören, dass ich aus dem Lager komme, hat der [Verantwortliche] gesagt: „Wenn ich Ihnen auch eine Karte gebe, es gibt in ganz Graz eh nichts zum Einkaufen.“ Habe ich gesagt: „Ja, aber ich kann nicht weiter in den Fetzen gehen und ich habe ja fünf Jahre nichts gekriegt.“ Und wie die Leute gehört haben: „Lager, fünf Jahre“, – „Die gehört ja aufgehängt, die gehört ja wieder ins Lager gesteckt!“ Das waren die Menschen, die sich mit mir an der Kartenstelle angestellt haben.

Dann bin ich zur Gewerkschaft gegangen und wollte mich gewerkschaftlich organisieren, solidarisch und klassenbewusst wie ich war. Da war ein gewisser Wurm bei der Gewerkschaft und der hat gesagt: „Sie sind lebend zurück, na, da ist es eh nicht so schlecht gewesen. Bei der Kommunistischen Partei sind Sie? Da gehören Sie ja wieder eingesperrt!“ Das war ein Sozialist! So ist meine Heimkunft gewesen.

Ich möchte mein Leben nicht noch einmal erleben. Das war zu traurig. Aber ich würde nie anders handeln. Ich würde nie anders handeln können, gelt. Eines habe ich sicher gewusst. Wehren muss man sich, das habe ich ganz sicher gewusst und aus diesem Bedürfnis heraus sind alle meine Handlungen entsprungen.


Biografie Anna Čadia


Erdös Endréné

Quelle
Erdös Endréné im Gespräch mit Júlia Vajda (Audio-Interview)
1. Juni 2002, Budapest
Originalsprache Ungarisch
Transkript: Deutsche Übersetzung von Gerhard Baumgartner

Archiv
Sammlungen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen
AMM OH/ZP1/54

Literatur

Katherine Klinger, Christian Staffa, (Hg.)
Die Gegenwart der Geschichte des Holocaust
Berlin 1996

Szabolcs Szita
Ungarn in Mauthausen
Ungarische Häftlinge in SS-Lagern auf dem Territorium Österreichs
Wien 2006

Szabolcs Szita
Verschleppt, verhungert, vernichtet
Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Österreich 1944 – 1945
Wien 1999


Anna Čadia

Objekt
Zitate von Anna Čadia im Gespräch mit Margitta Kaltenegger (Audio-Interview)
1988, Volkshaus Graz

Archive
Privatarchiv Liesbeth Hornik-Turnowsky
Privatarchiv Ernest Kaltenegger


Objekt
Brosche von Eva Schmeiser Čadia für ihre Mutter Mila
1997
Material: Silber, emailliert
120×30 mm

Archiv
Privatarchiv Eva Schmeiser Čadia
wert
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